„Als frühkindlicher bzw. primitiver Reflex oder Primitivreflex wird in der Medizin ein typisches und reproduzierbares Reaktionsmuster auf gezielte äußere Reize bezeichnet. Diese Reflexe laufen ohne Beteiligung des Großhirns ab (…).“
- Wikipedia
In dieser Artikel-Serie möchten wir auf einzelne, häufig noch aktive - oder persistierende - primitive Reflexe eingehen. Dieses Mal befassen wir uns mit dem Moro-Reflex. Sollten Sie die vorherigen Teile nicht gelesen haben, finden Sie diese auf unserem Blog. Nichtsdestotrotz hier nochmal eine kurze Rekapitulation zum Thema primitive oder frühkindliche Reflexe.
Primitive oder frühkindliche Reflexe entwickeln sich im Mutterleib und sind für das Überleben des Säuglings eine Notwendigkeit. Die Reflexe versorgen das Baby mit den Instinkten der Atmung, des Fütterns, des Schreiens und der Zuwendung. Abgesehen davon, dass diese Reflexe für einen der ersten Meilensteine in der Entwicklung sorgen - das Drehen des Babys auf den Bauch und zurück -, aktivieren sie auch Gene, die für das Wachstum und die Verknüpfungen von und im Gehirn sorgen und so weitere Meilensteine ermöglichen, so z.B. die Entwicklung von Grob- und Feinmotorik, Sprach- und Lesefähigkeit, visuelle und auditive Wahrnehmung und Verarbeitung.
Mit Zunahme der Muskelbewegungen und mittels sensorischer Stimulation werden im Gehirn neue Neuronen gebildet und Verbindungen zwischen Neuronen gestärkt, was immer mehr und komplexere Gehirnfunktionen ermöglicht. Da nicht mehr benötigt, werden die primitiven Reflexe nach und nach gehemmt. Unter Hemmung versteht man die Unterdrückung einer Funktion durch Entwicklung einer anderen Funktion bzw. höher/besser entwickelter, neuronaler Strukturen. Das geschieht nach ungefähr 3 bis 12 Lebensmonaten. Anstatt aber einfach zu verschwinden, werden sie integriert, d.h. sie werden „aufgestückelt” und unterliegen fortan der Kontrolle des Kortex.
Bewegt sich das Kind nicht ausreichend, bekommt auch das Gehirn nicht genug Stimulation und die Reflexe bleiben aktiv. Es findet also keine Integration statt und es entwickelt sich ein Hirnungleichgewicht, das zu neurologischen Störungen führen kann.
Der Moro-Reflex - der auch als „Schreckreflex“ bezeichnet wird - entwickelt sich bereits im Mutterleib (ca. 9. Schwangerschaftswoche) und ist bei der Geburt i.d.R. vollständig ausgebildet. Wie alle primitiven Reflexe dient er nicht nur der Entwicklung von grobmotorischen Fertigkeiten und kognitiven Fähigkeiten, sondern auch dem Schutz.
Wird das Baby erschreckt oder einer extremen und plötzlichen Stimulation ausgesetzt, antwortet es mit einer unwillkürlichen, motorischen Schutzreaktion, die von einer auditiven Reaktion begleitet wird. Das heißt, das Baby zeigt eine körperliche Schreckreaktion und beginnt häufig zu weinen, um der Bezugsperson zu signalisieren, dass es sich in Gefahr glaubt.
Die plötzliche Stimulation kann ein lautes Geräusch, grelles Licht oder eine überraschende Bewegung sein, entweder vom Baby selbst ausgelöst oder durch ein schnelles Hochnehmen durch die Bezugsperson.
Und wie zeigt sich die Schreckreaktion genau? Meist kann man neben einem erschrockenen Gesichtsausdruck sehen, wie das Baby die Arme und Beine in die Luft reißt. Das ruckartige Hochreißen der Arme wird vom Spreizen der Finger begleitet. Der Mund öffnet sich und die Atmung wird an die Körperbewegung angepasst. Das heißt, die Schreckbewegung wird vom Einatmen begleitet, gefolgt von einem kurzen Erstarren und dann dem Ausatmen, bei dem auch die Gliedmaßen wieder an den Körper zurückkehren. Die Arme werden auf die Brust gebracht, die Hände zu Fäusten geschlossen.
Der Moro-Reflex, den unsere pelzigen Verwandten auch als Klammerreflex zeigen, sorgt dafür, dass das Baby direkt nach der Geburt seinen ersten Atemzug machen kann. Die durch die Schreckreaktion ausgelöste Freisetzung von Stresshormonen beschleunigt die Atmung und Herzfrequenz, der Puls wird gesteigert und der Blutzuckerspiegel sinkt. Das Hochreißen der Arme aktiviert die Inhalation (Einatmung) und schützt das Kind vor Ersticken.
Der Moro-Reflex sollte nach ca. 3-6 Monaten integriert sein.
Konnte der Moro nicht integriert werden, ist also weiterhin aktiv, können sich eine Reihe von Symptomen zeigen, nicht zuletzt auch deshalb, weil der Schreck die Freisetzung von Stresshormonen (Adrenalin und Cortisol) begleitet. Hierzu zählen:
Spezielle Übungen können helfen, den Moro-Reflex zu integrieren und so Symptome zu lindern. Die Ergotherapie macht sich Übungen zur Reflexintegration zunutze.
Ein Beispiel ist der klassische Seestern: Das Kind sitzt in einer Fötushaltung auf dem Rand eines Stuhls. Hierbei ist das linke Bein über das rechte geschlagen und der linke Arm über den rechten gekreuzt. Diese Position wird 5 Sekunden gehalten.
Jetzt bewegt es sich explosiv in eine Seestern-Position, indem Arme, Beine und Kopf gestreckt werden. Diese ausgestreckte Position wird 5 Sekunden gehalten. Dann bewegt sich das Kind zurück in die geduckte Ausgangsposition, schlägt das rechte Bein über das linke, legt die rechte Hand über die linke und zieht das Kinn zur Brust. Jetzt wird das Strecken von Armen, Beinen und Kopf in die Seestern-Position wiederholt.