17. Sep 2021Thomas Weidauer
Warum ADHS und Empathie anscheinend nicht nebeneinander existieren
Kinder mit ADHS verfügen über viele Talente und Interessen, müssen sich aber auch tagtäglich einigen Herausforderungen stellen. Sie haben eine zu kurze Aufmerksamkeitsspanne, können sich nur schwer konzentrieren und ihre Impulse führen einen Eigenleben. Und dann wäre da noch ein Sozialverhalten, das Fürsorglichkeit, Rücksicht und Empathie vermissen lässt.
Betroffene wirken auf ihr Umfeld oft als asozial und finden nur mit Mühe Freunde, denn sie haben Schwierigkeiten mit einem „sozial-verträglichen“ Verhalten. Oftmals sprechen sie die meisten ihrer Gedanken unverblümt aus, ohne zu verstehen oder auch nur Interesse daran zu zeigen, dass ihr Gegenüber sich durch ihre Worte oder ihr Verhalten angegriffen und verletzt fühlt. Leider führt das zu einer Art Teufelskreis, denn Menschen, die sich durch Worte und Handlungen verletzt fühlen, ziehen sich dann doch eher zurück als mit dem Verursacher Freundschaft zu schließen. Und den Gleichaltrigen fehlt wiederum die Fähigkeit und Geduld, zu verstehen, dass ADHS ein Problem mit dem Sozialverhalten mit sich bringt.
Doch ist es wirklich so, dass Kindern mit ADHS die Fähigkeit zur Empathie fehlt und sie sich absichtlich verletzend verhalten?
Warum so rücksichtslos?
Zunächst sollten wir klarstellen und verdeutlichen, dass Kinder mit ADHS Freundschaften schließen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben möchten. Aufgrund ihrer funktional entkoppelten Hemisphären (Gehirnhälften) wissen sie nur einfach nicht, wie sie es „richtig“ anstellen sollen. Die normale Entwicklung sozialer Fähigkeiten hängt von der normalen Entwicklung des Bereichs im Gehirn ab, der für die nonverbalen Kommunikation zuständig ist. Wenn die nonverbalen Kommunikation keine Schwierigkeit darstellt, dann ist der Mensch in der Lage, Körpersprache, Gesichtsausdrücke und Stimmlage zu interpretieren und so die Absichten und Emotionen von Menschen zu verstehen.
Findet die Gehirnentwicklung nun aber nicht „normal“ statt, d.h. die Gehirnhälften reifen nicht in gleichem Maße und kommunizieren unzureichend miteinander, dann können sich auch die nonverbalen und sozialen Kompetenzen nicht adäquat entwickeln. Das ist auch der Grund, warum Kinder durch Strafen und Ermahnung zwar ein gewisses Maß an sozialen Regeln lernen können, aber keine normalen sozialen Fähigkeiten erwerben.
Es ist also keine fehlende Empathie, es ist ein unzureichend gereiftes und vernetztes Gehirn, das es den Kindern verwehrt, andere Menschen zu „lesen“, Gedanken und Gefühle anderer zu verstehen und ihr Verhalten angemessen zu regulieren. Hinzu kommt im Laufe ihrer Entwicklung noch ein Teufelskreis aus Scheitern, das ihr Verhalten häufig verstärkt.
Fällt es dem Kind schwer, Freunde zu finden? Wird es aufgrund seines Verhaltens ausgegrenzt und abgelehnt? Kann das Kind aufgrund seiner symptomatischen Schwierigkeiten (wie Konzentration) keine ausreichenden schulischen Leistungen erbringen? Sind viele alltägliche Aufgaben wegen der geringen Aufmerksamkeitsspanne eine gigantische Hürde? Nun, ein Umfeld, dass dieses Verhalten ablehnt und vielleicht sogar bestraft, sorgt damit nicht für eine Veränderung. Stattdessen fühlt sich das Kind als falsch, unfähig, dumm oder faul. Nicht sehr hilfreich.
Was kann helfen?
Auf struktureller Seite kann das Training zur Hemisphärenintegration helfen, das Gehirn ins Gleichgewicht zu bringen. Durch das Nachreifen und intensive Vernetzen werden auch die Entwicklung von sozialen Kompetenzen ermöglicht und ein Miteinander nach gesellschaftlichen Regeln für das Kind erreichbar. Auf der Verhaltensseite können eine klare Struktur und gewisse Strategien dem Kind helfen, einen weniger stressigen und reibungsfreieren Alltag zu bestreiten.
Routine & StrukturEinem betroffenen Kind kann es viel Druck abnehmen, wenn der Alltag sinnvoll und verlässlich strukturiert ist. Ob Hausaufgaben oder Zimmeraufräumen, mit einer klaren Routine kann sich das Kind auf die Aufgaben einstellen und Erfolgserlebnisse erfahren.
Feste RegelnDas häufige Scheitern im sozialen Umfeld drückt auf das Selbstbewusstsein des Kindes, deshalb kann es durch Einhalten verlässlicher Regeln erfahren, dass es sehr wohl in der Lage ist, etwas zu schaffen.
Reize regulierenLange Zeit waren der stille Stuhl oder Auszeiten in einem anderen Zimmer das Mittel der Wahl bei Trotzanfällen oder Wutausbrüchen. Bei einem Kind, das von ADHS betroffen ist, können solche Methoden die Situation verschlimmern. Das Kind fühlt sich unverstanden und allein gelassen. Deshalb ist es wichtig, frühzeitig zu reagieren und in Kontakt mit dem Kind zu bleiben. Zu erkennen, wann es durch zu viele Reize überfordert ist. Das können Computerspiele, zu vielen Menschen oder auch zu viele Ablenkungen sein. Eine reizarme Umgebung kann helfen. So sollten z.B. Orte wie der Schreibtisch für die Hausaufgaben und das Bett für eine erholsame Nachtruhe möglichst ruhig und ablenkungsfrei sein.
Gesund essen, gut schlafen und viel bewegenViele Untersuchungen deuten mittlerweile darauf hin, dass die Ernährung eine negative Wirkung auf unsere ADHS-Symptome - physisch und psychisch - haben kann. So haben sich Nahrungsbestandteile wie Gluten, Zucker und Casein als besonders nachteilig herausgestellt. Eine spezielle Ernährungsberatung und Diätumstellung können hier helfen.
Kinder mit ADHS leiden überdurchschnittlich oft unter Schlafstörungen. Wissenschaftler gehen mittlerweile davon aus, dass beide Probleme sich gegenseitig bedingen können, Schlafstörungen könnten für einen Teil der AD(H)S-Symptome verantwortlich sein und deshalb ist auch die Nachtruhe ein wichtiger Aspekt eines gesunden Lebensstils.
Ein bewegungsintensiver Lebensstil kann dem ADHS-Kind helfen, ein körperliches Ventil für den hohen Aktivitätsdrang zu haben, bei einem gemeinsamen Hobby Freunde zu finden und ein besseres Körpergefühl zu entwickeln. Spezielle Übungen für die Koordination, den Muskeltonus, die Körperkontrolle und das Gleichgewicht unterstützen die Hemisphärenintegration und helfen, das Gehirn ins Gleichgewicht zu bringen.